Ganz nah am Leben

Diese Veranstaltung war eine Premiere bei der Kulturnacht: Trauerrednerin Conny Barlag erinnerte, mal mit Witz, mal ergreifend, bei einer Friedhofsführung an Verstorbene.
Anfang September ist Hermann Jansen verstorben. An seinem 99. Geburtstag. Der stets zu Späßen aufgelegte Spirituosenhändler verabschiedete sich auf seine eigene Art. „Viel Vergnügen“ lauteten seine letzten Worte. Wenige Tage nach Jansens Tod stehen 60 Weseler an seinem Grab, schauen auf das kleine Holzkreuz und lauschen den Geschichten, die Trauerrednerin Conny Barlag aus dem Leben des Toten erzählt. Auf dem Friedhof an der Caspar-Baur-Straße erwachten zu Beginn der 9. Weseler Kulturnacht verstorbene „Local Heroes“ zum Leben.

Hermann Jansen war so ein lokaler Held. Ein waschechter Weseler, der im Dudenschlöss-chen groß geworden ist. 99 Jahre alt wollte er werden. 99 Jahre, in denen er Spuren in seiner Heimatstatt hinterlassen hat. Conny Barlag führt die Besucher an Jansens letzte Ruhestätte und auf die Fährte des „Weseler Urgesteins“.

Unweit Jansens frischer Grabstelle stoppt sie ihr Gefolge vor einem schwarzen Stein. Michael Keunecke liegt hier seit 2004. Der Gründer des Bestattungsinstituts, für das auch Conny Barlag arbeitet, ist durch sein Engagement für den Handballsport stadtbekannt geworden. Doch wussten nur wenige der aufmerksamen Zuhörer, dass Michael Keunecke und sein Bruder Fritz, der nebenan zu Grabe getragen wurde, als „echte Weseler Jungs Kneipen und Feste unsicher gemacht“ ha-ben.

Der Mann mit den großen Händen

Heiter, informativ und respektvoll erzählt Conny Barlag vor dem Grabstein ihres verstorbenen Nachbarn Friedel Rabeling vom „Mann mit den großen Händen“, der beim Anblick eines Babys ganz zart werden konnte. Bekannt war Rabeling in Wesel vor allem als stets pfeifender und singender Maler auf seinem schwarzen Fahrrad. Bestens kann sich die Erzählerin an die Zeiten erinnern, als der passionierte Hochseeangler Fisch für die gesamte Nachbarschaft mit nach Hause brachte.

Ergreifend ist die Geschichte der Sieglinde Tchorz, die wunschlos glücklich starb und nun im Urnengrab an der Caspar-Baur-Straße liegt. Er-schütternd ist Conny Barlags Erzählung von Charlotte Schlett. Neben einer Mülltonne für „nicht kompostierbare Abfälle“, versteckt hinter Zweigen, liegt die Dame mit ihren drei Kindern beerdigt. Der Grabstein zeugt von ihrem Schicksal. Beinahe verblasst, ist ein Boot mit Hilferufenden sowie drei Rosen mit gebrochenen Knospen zu erkennen. Als Charlotte Schlett mit ihren Kindern ihrem Mann von Düsseldorf nach Wesel folgen wollte, verunglückte die Familie auf dem Rhein.

Bei einem bunt geschmückten Grab hält Conny Barlag erneut. Robert J. Schramm steht darauf. Nur ein halbes Jahr lebte der Kleine im Kreis seiner Familie. „Er hat seine Stimme nicht nutzen können. Doch seine Augen haben alles gesagt“, erzählt Conny Barlag. „So traurig ein Ende ist – davor steht immer ein Leben“, sagt die Trauerrednerin und blickt auf die große Sonnenblume ein paar Schritte weiter. Es ist das Grab ihres verstorbenen Sohnes Titus. Über ihren persönlichen „Local Hero“ auf dem Friedhof der Caspar-Baur-Straße hat sie ein Buch geschrieben. In der Trauerhalle liest sie anschließend daraus vor. Der Titel lautet „Titus – Ein Leben“.

Quelle: WAZ, Cai-Simon Preuten, 26.9.2010
http://www.derwesten.de/staedte/nachrichten-aus-wesel-hamminkeln-und-schermbeck/ganz-nah-am-leben-id3760723.html#plx1852531219

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