Wesel. „Geh doch mal unter Leute!“ Ein gut gemeinter Rat, den Trauernde häufig zu hören bekommen. Darf man das? In Gesellschaft unbeschwert sein, vielleicht sogar mal lachen – oder bei Bedarf auch weinen? Man darf. Einmal im Monat gibt es im Gasthaus Himmel und Erde das Café Schönes Stündchen. Üblicherweise immer am ersten Dienstag, im Dezember ausnahmsweise am zweiten Dienstag. Was erwartet die Gäste?
„In Trauergesprächskreisen geht es immer recht schwermütig zu“, sagt Conny Barlag, Trauerrednerin und Trauerbegleiterin beim Bestattungsunternehmen Keunecke. „Leute erzählen sich gegenseitig ihre Probleme. Davon wollen wir uns absetzen. Wie es der Name sagt: Die Menschen sollen ein schönes Stündchen erleben.“ Niemand müsse sich erklären, wenn er lacht. Oder wenn auch mal eine Träne fließt.
Ins Gespräch kommen
Margit Keunecke stimmt zu. Hier werde Trauer nicht analysiert, dieses Angebot sei in Wesel ausreichend vorhanden. Es geht um ein paar unbeschwerte Minuten. „18 bis 20 Leute sind bislang gekommen. “ Für manche ist der Verlust noch frisch, bei anderen ist es bereits Jahre her, dass sie Ehemann oder ein Kind verloren haben. Und es sei nicht wichtig, welches Beerdigungsinstitut beauftragt worden ist. „Es entstehen Gespräche. Über Selbstfürsorge beispielsweise. Lohnt es sich, für sich allein zu kochen? Ja!“, beschreibt Keunecke ein Thema, das die Trauernden bei Grünkohl mit Pinkel diskutiert haben. Schnell ist man bei Rezepten angelangt, tauscht Tipps aus. Kontakte werden geknüpft, mitunter sogar Adressen getauscht. Über die Speisen können die ersten Gespräche angeknüpft werden. Und ja: Manchmal lachen die Teilnehmer auch. Und es tut gut.
Trauer nicht wegreden
Im Gasthaus herrscht eine angenehme Atmosphäre, „wir wollen auch eine kulinarische Reise anbieten“, sagt Margit Keunecke. Nach dem Grünkohl stehen nun Bratäpfel mit Vanillesoße auf der Speisekarte. Kostenlos. „Ich finde, Trauerbegleitung darf nicht in Rechnung gestellt werden“, sagt Conny Barlag, die wie Margit Keunecke immer beim schönen Stündchen dabei ist.
„Das Leben geht weiter“, sagen die Frauen. Beide haben nicht nur professionelle, sondern auch ganz persönliche Erfahrungen mit Tod und Trauer. Margit Keunecke ist Witwe, Conny Barlag hat einen Sohn im Kindbett verloren. Die Frauen wissen, wovon sie sprechen. „Wir wollen beim Schönen Stündchen die Trauer nicht wegreden oder Kaffeeklatschpsychologie betreiben. Es geht darum, ein wenig zurück ins Leben zu finden“, erklärt Barlag. Dass das nicht einfach ist, verwundert kaum. Manchmal sucht jemand nach dem Essen das Gespräch mit ihr, um über seine Trauer zu sprechen. Das ist in Ordnung. Niemand muss sich erklären.
Quelle: WAZ, Petra Herzog, 22.11.2014
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